Friedeltraud – das etwas andere Märchen

Friedeltraud: der Tragödie erster Teil

Es war einmal vor langer Zeit,
Im Land der Fremdenfreundlichkeit,
Ein Schweinebauer namens Fritz,
Mit Tausend Säuen im Besitz.

Und jeden Tag, beim ersten Licht,
Erfüllte Fritzchen seine Pflicht –
Er zählte bis zum Sternenschein
In seinem Stalle jedes Schwein.

Von Abigail bis Zölestine
Ging seine tägliche Routine,
Ein ganzes Tausend, froh, gesund,
So samtig weich, natürlich rund.

Doch eines Tags, nach dem Besuch,
Bemerkte Fritz in seinem Buch
Der Anwesenheit jedes Schweins:
Es war ein Tausend… und noch eins!

Sobald er diese Zahl erkannt,
Ward er von Neugier überrannt;
Die Sau gezählt, doch nicht geseh’n –
Fürs Bauernhirn nicht zu versteh’n.

Da rannt’ er los zu seinem Stall,
Zum ersten Mal zum zweiten Mal,
Und fand im Stroh, im Mondeslicht,
Ein strahlend schweinisches Gesicht!

Wie golden glänzt die Babyhaut,
Das Grunzen süß und doch versaut,
Welch Bauernglück von Kopf bis Schwanz!
Den Fritz ergreift ein Freudentanz,

Er packt das Ferkel fest am Leib,
Als wär‘ es schon sein eig’nes Weib,
Setzt an zum Walzer unter’m Mond –
Ein Tanzkurs hätte sich gelohnt.

Und hebt die Sau ’gen Himmelsstirn,
Die strampelt wild mit allen vier’n,
Und ruft in bibelhafter Trance:
„Welch’ Anmut, welche Excellence!

Ich spüre, wenn ich zu dir schau,
Du bist die auserwählte Sau!
So sollst du heißen,“ – schreit er laut,
„Wie meine Mutter: Friedeltraud!“

Ein Tag, ein Jahr, die Zeit ging fort,
Verschonte nicht den Schweinehort,
Der Friedeltraud allein geweiht,
Damit sie wachset und gedeiht,

Was sie auch tat in vollster Pracht.
Jedoch zur ersten Winternacht
Ward Fritz in seinem Schlaf geweckt.
Welch Quälgeist wohl dahinter steckt?

So ging der ahnungslose Fritz
Zu luchsen durch den Schlüsselschlitz:
„Was ist das für ’ne Sauerei?
Wer klopft bei mir um zehn vor drei?“,-

Fragt Fritz das Schemen vor der Tür,
Doch hört nur „Domstadt“ und „Gebühr“.
Um diese Zeit ein Tête-à-Tête?
Es ist die Schweine-GEZ!

Von draußen redet der Agent:
„Sagt, Schweinebauer, ob ihr’s kennt,
Dass ab dem tausendersten Schwein
Muss jedes uns gemeldet sein?“

„Ich weiß“, sagt Fritz und weint, „Ich weiß!“
– „Drum zahlt sofort den vollen Preis,
Denn es ist bald über ein Jahr,
Seitdem hier eine Sau gebar!“

Doch Fritz besaß nicht einen Cent
An jenem traurigen Advent,
So pfändete man ihm kein Geld,
Aber das das schönste Schwein der Welt!

Kein letzter Blick, kein Abschiedskuss,
Im wilden Schleim- und Tränenfluss
Hat Fritz dem Laster nachgeschaut,
Aus welchem grunzte Friedeltraud.

So fuhr das jubelnde Duett –
Das von der Schweine-GEZ –
Von Fritzens Farm, die Sau dabei,
Als ob gar nichts gewesen sei.

Doch Friedeltraudchen tobt und heult,
Dass sich der LKW verbeult.
„Die macht uns noch die Karre platt,
Geh, sieh mal nach und mach auch wat!“

Sagt Schmidt, der leitende Agent.
Der and’re, Schulze, springt und rennt
Zur Sau… und quiekt nicht minder schrill,
Wie ein Eunuch auf heißem Grill.

„Wer hat uns uns’re Sau stibitzt?“
Sofort kommt Schmidt herbeigeflitzt,
Der ganzer Anhänger ist leer,
Kein Grunzen, und kein Ferkel mehr.

„Sieh da, es ist nicht alles hops!“
Zeigt Schmidt auf einen kleinen Klops
Aus Fleisch und Speck im Sternenglanz,
Voller Allure und Eleganz.

„Eine Boulette frisch vom Schwein?
Das muss ihr sterblich Restchen sein.“
Sie setzten ihre Reise fort,
Mit Friedeltraud als Klops an Bord.

Friedeltraud: der Tragödie zweiter Teil

Der schrecklich Winter geht vorbei,
Wir sind in Manfreds Metzgerei,
In, wohlgemerkt, dem selben Land,
Nur jetzt am Frikadellenstand.

Im blendend grellen Neonlicht,
Mit halbem Pfund Abtropfgewicht,
Erstrahlt die allerschönste Braut –
Die Mettprinzessin Friedeltraud,

Und wartet schon seit 40 Tagen
Auf einen holden Prinzenmagen,
Mit dem, wie Fritz ihr hat erzählt,
Sie sich auf Ewigkeit vermählt.

Des Weiter’n heißt’s in der Legende
Um Friedeltraudchens Schicksalswende:
Er kommt auf hohem, weißem Ross,
Der edle, königliche Spross.

Doch seht, da ist ja schon der Prinz!
Nein, der will was vom Fleisch des Rinds…
Und der? Der würd’s im Notfall tun!
Unfassbar, der will Fleisch vom Huhn!

Auf einmal kommt, wie aus dem Nichts,
Ein Mann nicht niedrigen Gewichts,
Die Brust behaart, der Kopf beglatzt,
Zur Schweinetheke, schnaubt und schmatzt.

Er blickt hinab zur Friedeltraud,
So scheinbar lieblich und vertraut,
Sie blickt zurück und weiß bescheid:
Der Prinz ist da, es ist soweit!

Sein stolzer Name lautet Horst,
Sein Reich – der feuchte Fichtenforst,
Sein Ross – ein weißlicher Trabant,
Sein Duft – betäubend penetrant.

Legende hin, Legende her,
Es hat gefunkt, was will man mehr?
Horst nimmt die Friedeltraud zum Pferd,
Das heißt, zum Trabbi, grunzt und fährt.

Bloß nicht zur Kirche, wie gedacht,
Zum Zug nimmt er die hehre Fracht.
Doch wie Bouletten nun mal sind,
Vertraut die Friedeltraud ihm blind.

Die Bahn kommt pünktlich viel zu spät.
Horst stürmt hinein wie ein Komet
Und plumpst mit einem großen Satz
Auf seinen reservierten Platz.

Verspätung dort, Verspätung da,
Als ob es jemals anders war,
Des Prinzens Magen schlägt Alarm,
Es brodelt wild im ganzen Darm.

So greift er hastig nach dem Pack
Mit seiner Braut aus Schweinehack,
Nimmt eine Zwiebel, etwas Brot,
Strikt nach dem adligen Gebot,

Und ein Geruch geht durch die Luft,
Der ums Verrecken nicht verpufft,
Dass jedes Körperhaar sich sträubt.
Der ganze Wagen wirkt betäubt.

Kein letzter Blick, kein Abschiedskuss,
Im sauren Schleim- und Speichelfluss
Versinkt Prinzessin Friedeltraud
Am Stück, noch nicht mal angekaut.

Ihr Schicksal nimmt sie mit Bravur.
Gedanklich schon im Himmelsflur
Spürt sie, wie sie den Horst Beglückt,
Wie Liebe Leiden überbrückt.

Im dunklen Magen angereist,
Liegt sie darin, was Horst verspeist,
Als plötzlich – Licht vom Eingang her!
Kommt gleich die sanfte Wiederkehr?

Doch auf dem Weg zum Hoffnungslicht
Klatscht ihr die Zwiebel ins Gesicht,
Gefolgt vom Flug mit Affenzahn
Durch Horsts Boulettenachterbahn.

Was dann geschieht, ist jedem klar,
Kein Märchenende, dafür wahr,
Des einen Freud – der andren Leid,
Wahrhaftig aller, weit und breit.

Und zum Gedenken an den Tag,
An welchem Friedeltraud erlag
Der Völlerei vom Horst im Zug,
Wo eine Zwiebel sie erschlug,

Entstand ein Brauch in jenem Land,
Fast jedem Passagier bekannt:
Ein Frikadellchen frisch vom Schwein
Muss bei der Fahrt gegessen sein,

Sodass, wenn’s plötzlich heftig riecht,
Man wird erinnert an die Pflicht,
Packt aus sein Schweinefleisch und isst,
Damit die Menschheit nie vergisst

Den Tod der auserwählten Sau,
Von Friedeltraudchen, ganz genau,
Sowie den Horst, den Fichtenprinz.
Derweil, zurück in der Provinz,

Geschieht, was sich von selbst erklärt:
Beim Manfred kommt auf weißem Pferd
Ein Mann im goldenen Gewand
Zum leeren Frikadellenstand…

März 2009